Krise

Macht, Ohnmacht und ein Motorradunfall

Ich stürze, ich bin mit meinem Motorrad in Kies gefahren, das Vorderrad bricht aus, ich versuche die Maschine mit meinem Bein abzufangen, ich schaffe es nicht, ein stechender Schmerz im Knie, ich höre es krachen und ich liege am Boden. Ich krabbele hoch, will aufstehen, wieder der Schmerz im Knie, ich kann nicht auftreten, ich setze mich auf die Maschine und warte. Es kommen Menschen, die zur gleichen Fachtagung wie ich wollen. Eine Frau und ein Mann; der Mann ruft einen Krankenwagen, die Frau setzt sich hinter mich und hält mich. Sie wartet mit mir auf den Krankenwagen, obwohl ich mich sage höre, es sei nicht nötig, ist es beruhigend für mich. Ich fange an zu zittern, es ist schön, dass sie da ist und mich hält. Ich kann mich nicht mehr an sie erinnern, kenne auch ihren Namen nicht. Als der Krankenwagen kommt, ist sie weg. Ich habe selbst mal Krankenwagen gefahren, nun liege ich als Patient darin und merke, wie gut es ist, dass der Mann behutsam fährt. Ich rufe meine Frau an und bin noch guter Dinge. Es wird so schlimm nicht sein. In der Notaufnahme sehe ich ernste Gesichter, als sie mich untersuchen. Die Gesichter werden noch finsterer, als sie meine Röntgenbilder betrachten. Das sieht schlimm aus, das dauert lange, wenn überhaupt…, ob das wieder wird??? Mir wird schlecht. Ich soll noch am gleichen Tag in die OP. Ich werde auf Station geschoben, dort ist kein Zimmer frei, ich liege im Aufenthaltsraum, alleine. So fühle ich mich auch, alleine, brutal gestoppt und hilflos. Ich rufe meine Frau an und bitte sie, sofort ins Krankenhaus zu kommen. Als sie da ist, erzähle ich ihr, was die Ärzte gesagt haben und fange an zu weinen. Meine Fassade bricht zusammen. Ich stelle mir vor, welche Konsequenzen dieser Unfall hat. Vor ein paar Tagen hatte ich mir noch einen Skihelm gekauft, wollte diesen Winter etwas mehr Ski fahren. Aber auch Tanzen, Segeln, Schwimmen, Kanufahren, wandern und einfach die Treppen jeweils mit zwei Stufen nehmen, all das wird nicht mehr gehen, mir wird schwindelig nur von der Vorstellung. Meine Frau tröstet mich. Ich muss dann doch nicht mehr in den Operationssaal, sie haben ein Zimmer gefunden, dorthin schieben sie mich. Ich beruhige mich wieder. Meine Frau geht nach ein paar Stunden. Ich bin das erste Mal im Krankenhaus. Da liege ich nun im Bett, darf und kann nicht aufstehen, mich nicht waschen, nicht auf Toilette gehen, immer muss ich um Hilfe bitten. Ich fühle mich ohnmächtig und hilflos, ich weine vor mich hin, heute Morgen konnte ich noch alles, jetzt kann ich fast nichts mehr. Mein Leben wurde angehalten und ich bin auch noch schuld daran. Ich kann über niemanden fluchen, niemanden für meine Misere verantwortlich machen, ich selbst habe es verursacht, weil ich nicht aufgepasst habe. Ich schäme mich für meine Tollpatschigkeit. Spät noch meldet sich meine Frau, das Motorrad wäre wohlbehalten in der Garage. Wohlbehalten, denke ich, das blöde Motorrad ist ganz und ich bin kaputt. Aber wie schön ist es, einen Freund zu haben, der sich kümmert und das Motorrad abholt. Ein anderer Freund hilft ihm. Ich fühle mich nicht mehr ganz so alleine, der Freund hätte es gerne gemacht und wird mich in den kommenden Tagen besuchen, sagt meine Frau. Die Nacht wird lang, erst gegen Morgen finde ich etwas Schlaf. Gegen 7.00 Uhr werde ich geweckt, ein Pfleger kommt, stellt sich mir vor und macht einen unkomplizierten Eindruck, er scheint seine Arbeit gerne zu machen. Dass ich hier so liege, ist für ihn normal, er behandelt mich aber mit Respekt und einer Art Gelassenheit. Das entspannt mich. Er fragt mich immer und gibt mir das Gefühl, ich darf doch noch etwas entscheiden. Nicht alle sind so, dennoch gibt sich das Personal Mühe, vielleicht liegt es auch am Einzelzimmer. Am Vormittag kommt mein Nachbar und Freund und bringt Blumen mit. Meine Frau hat viele meiner Freunde und meine Verwandtschaft angerufen und ihnen erzählt, was mit mir passiert ist, so sagt mein Nachbar. Mir ist es erst noch ein wenig peinlich, aber ich freue mich über den Besuch und es geht mit den Besuchen weiter. Meine Söhne kommen, Freunde, meine Schwester kommt von weiter her, andere rufen an, mein Chef, meine Sekretärin, alle kommen sie und nehmen Anteil an meinem Schicksal. Ich höre Geschichten von anderen Verletzungen und Unfällen und wie jeder Einzelne damit fertig geworden ist. Ich werde immer munterer, gelöster und bin überrascht über die große Anteilnahme. Mir wird bewusst, mit wie vielen Menschen ich doch im Kontakt bin und wie wohlwollend sie mir begegnen. Als ich nach einer Woche dann zur Operation muss, fühle ich mich geradezu getragen von all den guten Wünschen und die Zusicherung, dass sie an mich denken würden, die ich in Fülle entgegen nehmen durfte. Die Operation verläuft gut, die Ärzte sind zufrieden, es gibt kaum Nachwirkungen hinsichtlich der Narkose. Dennoch, es ist eine schwere Verletzung, das spüre ich bei jeder Visite. Nun sind acht Wochen vergangen, ich darf jetzt erst wieder langsam das Knie belasten. Es ist bisher alles so verheilt wie es sein soll. Aber es wird noch dauern. Das Gefühl von Ohnmacht bleibt, es ist jeden Tag da, manchmal springt es mich morgens schon an, wenn ich aufstehen will und das nicht ohne Krücken kann. Dann wiederum belastet es mich kaum, es ist halt geradeso. Ich sehe dann die Dinge, die ich tun kann, wofür ich jetzt Zeit habe, erlebe es fast wie einen bezahlten Sonderurlaub. Im vergangenen Jahr hatte ich mich sowieso zu sehr verausgabt. Die Ohnmacht lehrt mich manches. Nichts ist selbstverständlich. Wenn ich am Fenster sitze und die Leute vorbei gehen sehe, beneide ich sie um ihre Möglichkeit, einfach gehen und rennen zu können. Ob sie wissen, wie schön das ist. Wahrscheinlich nicht, ich wusste es ja auch nicht. Meine Frau versorgt mich, macht vieles von dem, was ich früher erledigt habe. Sie tut es gerne, manchmal nervt es sie auch, aber sie ist da. Ein Freund sagt zu mir, was würde ich denn machen, wenn mir so etwas passieren würde. Er hat sich getrennt von seiner Frau. Wie wertvoll ist es, einen Menschen an seiner Seite zu haben. Ich sehe nun alle Menschen viel intensiver, die irgendein Handicap haben, die nicht so gut laufen können oder sogar im Rollstuhl sitzen. Ich weiß nun, wie sich das anfühlt, wie mühsam es ist und wie sehr sie die Hilfe von anderen benötigen.Ich bin nicht nur ohnmächtig, ich kann noch viel und fange gerade an, eine neue Sprache zu lernen. Das wollte ich schon lange, habe mir aber nie die Zeit dafür genommen. Macht und Ohnmacht gehören zusammen, das wird mir immer klarer. Nie sind wir nur mächtig und auch nicht ständig ohnmächtig. Wir sind beides und das ist unser Mannsein. Wir müssen die Ohnmacht nicht wegmachen, indem wir gewalttätig oder mies zu unseren Mitmenschen sind. In der Ohnmacht erleben wir etwas ganz Neues. Wir kommen unseren Mitmenschen näher, weil wir sie nicht mehr mit unserem ganzen Potenzgehabe erschrecken. Sie können uns nahe sein, weil sie keine Angst mehr vor uns haben. Außerdem lernen wir aus der Ohnmacht erst wieder, wie schön es ist, auch mächtig zu sein. War es gut, zu fallen? Ich glaube nicht. Aber ich lerne Neues kennen.

Männer und Krise

Wir Männer erleben Krisen vielfältiger Art: Schwere Krankheit, Tod naher Angehöriger Trennung und Scheidung. Aber auch so „harmlose“ oder „natürliche“ Dinge wie Geburt oder Auszug der eigenen Kinder aus dem Haus, Alt werden der eigenen Eltern und die damit verbundenen Sorgen und Aufgaben und … Selbstverständlich übernehmen wir diese Aufgaben und doch stellen sie eine Belastung da. Unseren normalen Alltag wollen wir ja auch noch meistern. Manchmal wäre es gut, darüber mit einem Außenstehenden zu sprechen und nicht Alles alleine auszuhalten. Nur wer kann das sein?

Männertelefon

Wir vom Männertelefon – selbst als Männer im Leben stehend und zudem professionelle Berater – kennen diese Sorgen und können Ihnen beistehen. Manchmal hilft bereits ein kurzes Gespräch. Versuchen Sie es doch einfach einmal!